Mittwoch, 14. April 2010

Kinderverrat

Ein schmaler Flur,
spärlich das Tageslicht,
ein kaputtes, gelbes Kinderfahrrad am Boden hütet sein Geheimnis alter Tage.
Plastiktüten, Staub, Berge Müll und Unrat,
Plastikflaschen, eineinhalb Liter Fantaersatz.
Drei Zimmer
Ein Kleiderschrank
Berge dreckiger Wäsche überall,
Photos in der Küche.
Ein Hochbett,
noch ein Hochbett.
Im Kühlschrank ein Apfel,
vergessene, ausgefranste Pizza im Pappkarton,
Glühbirne im Bad kaputt,
vier Zahnbürsten,
Handtücher am Boden,
im Flur ein Schulranzen.
Vier Bücher.
Stille.
Schweigen.

( Blende )

Der Flur noch schmutziger.
In der Küche drei Kinder am Tisch.
Ein Junge mit ernstem Gesicht verteilt Essen aus der Dose.
Stille.
Gefrorenes Schweigen.
Später spült der kleine Mann das Geschirr, in einer Reihe der Größe nach trocknen die anderen drei ab.
Die Handtücher miefen. Verhaltenes, zaghaftes Gekicher.

( Blende )

Das Jugendamt hat oft angerufen.
Die Mutter ist nie zu Gesprächen erschienen.
Nein, wir haben nichts bemerkt.
Aber gemuffelt haben die schon.
Hatten immer dieselben Sachen an.
Beim Sport nichts zum Wechseln.
Aber doch immer Einser geschrieben.
Die Mutter ist doch Kinderpädagogin.
2008

Knut

 
Knut, der putzige Eisbär wird so enden wie Boris Beckers Tochter Ermakova, die Kindernagellack in Düsseldorf im Prinzessinnenkleid vorführen muss.
Vorbei. Schon bevor es losgeht.
Die Frage wird sein, wer, wo, wann ausgewachsen auf einer Autobahn Raststelle ausgesetzt wird.
„Gott ist der süß, nein wie niedlich“, sagt die Hausfrau neben mir, bevor wir gleichzeitig zu den Eisenschranken kommen, wo Erwachsene und Kinder nochmals in eine zweigeteilte Schlange verwiesen werden. 30 Grad im Schatten, drei Stunden bis wir nun im Epizentrum der deutschen Absperrwut, der geordneten Einteilung gelandet sind.
In ihrer Euphorie bemerkt sie nicht, dass ihr lustiges Eisbärenkostüm auf ihrem Arm- ach, da steckt ja ein Kind drinnen- vor Hitzestau auseinander fließt.
Wie in Dachau, denke ich, schäme mich sofort bei diesem Gedanken vor Millionen Menschen, die das erlebt haben. Das Wort „erlebt“ lässt mich erneut schämen. Ich überlege und stelle fest, dass ich keine Sprache habe für dieses Grauen.
Die metallene Schranke. Wir sind da. Eltern links, Kinder rechts tönt eine militärische Stimme.
Ich bin überfordert. Wohin soll ich denn jetzt? Was bin ich?
Wut steigt in mir hoch, Wut, dass ich diese Situation ernst nehme und doch tatsächlich vor einem Problem stehe, in welche Richtung ich mich rechtmäßig einzuordnen habe und zwar möglichst zügig, sonst werde ich von den Menschenmassen hinter mir tot getrampelt.
Diese Mutti neben mir, ich wette- ihr Kostümkind beginnt jetzt nach der Trennung nervenaufreibend zu brüllen, ich überlege ob ich mitmachen soll?, bin guter Laune- stand mit ihrem Kind- anderes Kostüm: großer, großer Zauberhut...- schon in anderen Schlangen.
Zu professionell prallt das Schreien ihres Kindes an ihr ab, das ist nicht ihre erste Performance dieser Art.
Ich träume währenddessen, dass Knut endlich groß wird, natürlich will ihn dann keiner mehr sehen ( ich werde die Einzige sein, die ihn dann noch besuchen kommt), und dem Pfleger mal gehörig eine verpasst und nicht mehr nuckelnd und schleckend an diesem Menschen hängt.
Ist ja ekelhaft...
Vielleicht fliegt dann auch der erwachsene Harry Potter vorbei und die Beiden verbünden sich, rächen sich an der Menschheit in einem Aufruhr des Bösen, weil sie doch schlichtweg geliebt werden wollen um ihrer selbst Willen. Siehe Spiderman, King Kong und so weiter...
Mit Seitenblick auf meine Hausmutti- gerade hüpft sie unbeholfen durchs Gatter- entscheide ich mich dem Eisbärenkind zu folgen; eine folgerichtige Entscheidung, denn es erwartet mich eine unverhoffte Wendung- ich muss grinsen. Ich lasse meinem Grinsen freien Lauf, es geht in herzhaftes Lachen über, denn nur ein paar Meter vor mir in der Kinderschlange steht Frank Zander mit einer Gitarre und trägt krächzend, schwitzend mit grimmigem Gesicht sein Knut-Lied vor.
Selber Schuld frohlockt mein Herz und mein Gesicht freudestrahlend. Ebenso erheitert mich ein Geschäftsmann, Knutkrawatte um den dicken Hals, gleichstark schwitzend wie Mr. Prominent, der in sein Handy schreit: „Ich bin auf Stand By, ... Außentermin..“
Ich zwinker dem Kind im Kostüm zu, „Guck mal, gleich siehst du, was der kuschelige Eisbär mit Fischen macht“, schlage Herrn Zander fröhlich mit den Worten immer Butter bei die Fische auf die Schulter und schubse ihn liebevoll. Er plumst in das Becken zu Knut und gut ist. Endlich Ruhe.
( Mann, Mann, hätte doch kein Ende genommen..).
In der Nacht träume ich von Knut, Frank Zander und Harry Potter, die in einem miefigen Transvestitenclub in Amsterdam auftreten und am Ende an einer Überdosis Heroin in Frauenkleidern krepieren.
Böse. Grinsend wache ich gut gelaunt auf.

2006