Himmel, Bürgersteig, Bild, Wein, heulen, schwarzlackiert, überhaupt, umsonst
20 Minuten Zeit
„ Meine Tränen, dick wie angetrocknete Tinte,
fallen schwer auf dein Bild herab, bis dein
Gesicht schwarz lackiert ist, dennoch nicht ausradiert in meiner Seele.“
Es war einer dieser Abende, an denen sich die Wolken am Himmel auftürmten und in einer Geschwindigkeit vorbeizogen, als hätte jemand auf die Vorspultaste eines alten vergessenen Kassettenrecorders gedrückt.
Ich
stand auf dem Bürgersteig, reckte mein Gesicht den Naturgewalten
über mir entgegen und atmete rohe Wildheit, die gut tat, der Wind
heulte sein vertrautes Lied der Sehnsucht. Mein Blut lief zäh wie
dickes Schmieröl durch meinen Körper, lackierte meine Adern
schwarz; mein Herz klopfte eine Spur zu aufdringlich, wie ein Tier im
Jagdrausch waren meine Sinne geschärft, wach und anders, voll
ungestümer Freude und Aufregung.
All
das soll nicht als Ausrede für den weiteren Verlauf des Abend
dienen, wenn überhaupt, lag es an dem schlechten Rotwein, den ich in
rauen Mengen in mich hinein kippte, als ich den folgenschweren Fehler
begang, mich vom Troittoir in Richtung einer Eckkneipe zu bewegen,
die spärlich am Ende der Straße leuchtete wie eine hilflose Flamme
eines kränkelnden Feuerzeugs, und einzutreten.
Draußen
regnete es inzwischen ganze Wasserfäden ( was die Unmöglichkeit des
Entwirrens von Wollknäulen unterstrich), der Lärm der
Aufstellertafeln, mit denen der Wind fröhlich jonglierte drang noch
spärlich in die schlecht beleuchtete Spelunke, in der ich am Tresen
herumhing. Ich ließ meinen Blick schweifen, grinste- ziemlich
sicher- dämlich im Nichtstun und dann, plötzlich, sah ich ein Bild
vor mir, nein, ich sah alles was da war, eben nur mehr. Ich erschrak,
Adrenalin erfüllte mich, fast wie ein Orgasmus, obwohl ich mich kaum
an meinen letzten erinnern konnte, der wahrscheinlich auch nicht für
umsonst gewesen war.
Erik:
„Umsonst“
Ich
bezahlte und ging. Meinen Promillegehalt konnte ich nur erahnen und
notierte in meinem Hirn eine runde Zwei, vielleicht und
wahrscheinlich hatte ich knappe drei Promille.
Wenn
man seit zwölf Uhr am Tresen sitzt und sich das Leben schlecht
säuft, dann bleibt einiges hängen, wenn ich dann um drei Uhr nachts
das Lokal verlasse. Ich trank knappe drei Flaschen Wein, mehrere
Whiskeysorten habe ich ebenfalls neu kennengelernt. Dazu rauchte ich
drei Schachteln Reval, ohne Filter. Die vierte Flasche Rotwein trug
ich in meiner rechten Hand, als ich die Tür mit dem Fuß auftrat und
benommen auf den Bürgersteig stolperte.
Den
ganzen Tag sprach ich kaum ein Wort, bis auf meine Bestellungen, die
ich dem Barkeeper aber immer im höflichen Ton zuflüsterte. Umso
mehr überkam mich der Wunsch, jetzt meine Stimme zu benutzen, um
irgendetwas zu sagen, zu irgendjemandem. Doch nachts um drei sitzen
nur noch die Penner im Park, die Drogendealer oder die verpissten
Köter, die niemanden gehören. Früher mochte ich Hunde. Jetzt würde
ich einem dieser Dinger die Flasche über den Schädel ziehen und
mich wahrscheinlich danach ärgern, dass der ganze Wein verloren ist.
Das
passierte schon mal. Vorletzte Woche. Da habe ich diesen verlausten
Straßenlecker in den Himmel geschickt. Mit meinem Stiefel habe ich
ihm den Kopf zertreten, zuerst die Hinterläufe, dann den Kopf. „Na
heul doch“, schrie ich diesen Köter an. „Heul doch, du blöder
Hund.“ Weiß gar nicht mehr, wie lange ich auf ihn eingetreten
habe. Ich glaube etwa zehn Minuten, so lange bis ich anfing zu
heulen. Kann mich nur noch dunkel an das Bild erinnern, von seinen
gebrochenen Beinen und dem zermatschten Hundekopf. Schon mal probiert
durch Tränen ein klares Bild zu sehen?, addiert mit soviel Alkohol,
dass man überhaupt nicht mehr leben sollte? Mein Reichtum hat mich
ruiniert, lebendig begraben in einer leblosen Welt, voller lebloser
Menschen. Umsonst ist nur der Tod und schwarzlackierte Fingernägel.
Jahreswechsel 2008/2009