Mittwoch, 27. März 2013

"Nachts", Schreiben nach Wörtern


Himmel, Bürgersteig, Bild, Wein, heulen, schwarzlackiert, überhaupt, umsonst
20 Minuten Zeit





„ Meine Tränen, dick wie angetrocknete Tinte,
fallen schwer auf dein Bild herab, bis dein  
Gesicht schwarz lackiert ist, dennoch nicht ausradiert in meiner Seele.“ 













 Es war einer dieser Abende, an denen sich die Wolken am Himmel auftürmten und in einer Geschwindigkeit vorbeizogen, als hätte jemand auf die Vorspultaste eines alten vergessenen Kassettenrecorders gedrückt.
Ich stand auf dem Bürgersteig, reckte mein Gesicht den Naturgewalten über mir entgegen und atmete rohe Wildheit, die gut tat, der Wind heulte sein vertrautes Lied der Sehnsucht. Mein Blut lief zäh wie dickes Schmieröl durch meinen Körper, lackierte meine Adern schwarz; mein Herz klopfte eine Spur zu aufdringlich, wie ein Tier im Jagdrausch waren meine Sinne geschärft, wach und anders, voll ungestümer Freude und Aufregung.
All das soll nicht als Ausrede für den weiteren Verlauf des Abend dienen, wenn überhaupt, lag es an dem schlechten Rotwein, den ich in rauen Mengen in mich hinein kippte, als ich den folgenschweren Fehler begang, mich vom Troittoir in Richtung einer Eckkneipe zu bewegen, die spärlich am Ende der Straße leuchtete wie eine hilflose Flamme eines kränkelnden Feuerzeugs, und einzutreten.
Draußen regnete es inzwischen ganze Wasserfäden ( was die Unmöglichkeit des Entwirrens von Wollknäulen unterstrich), der Lärm der Aufstellertafeln, mit denen der Wind fröhlich jonglierte drang noch spärlich in die schlecht beleuchtete Spelunke, in der ich am Tresen herumhing. Ich ließ meinen Blick schweifen, grinste- ziemlich sicher- dämlich im Nichtstun und dann, plötzlich, sah ich ein Bild vor mir, nein, ich sah alles was da war, eben nur mehr. Ich erschrak, Adrenalin erfüllte mich, fast wie ein Orgasmus, obwohl ich mich kaum an meinen letzten erinnern konnte, der wahrscheinlich auch nicht für umsonst gewesen war.

Erik:
„Umsonst“
Ich bezahlte und ging. Meinen Promillegehalt konnte ich nur erahnen und notierte in meinem Hirn eine runde Zwei, vielleicht und wahrscheinlich hatte ich knappe drei Promille.
Wenn man seit zwölf Uhr am Tresen sitzt und sich das Leben schlecht säuft, dann bleibt einiges hängen, wenn ich dann um drei Uhr nachts das Lokal verlasse. Ich trank knappe drei Flaschen Wein, mehrere Whiskeysorten habe ich ebenfalls neu kennengelernt. Dazu rauchte ich drei Schachteln Reval, ohne Filter. Die vierte Flasche Rotwein trug ich in meiner rechten Hand, als ich die Tür mit dem Fuß auftrat und benommen auf den Bürgersteig stolperte.
Den ganzen Tag sprach ich kaum ein Wort, bis auf meine Bestellungen, die ich dem Barkeeper aber immer im höflichen Ton zuflüsterte. Umso mehr überkam mich der Wunsch, jetzt meine Stimme zu benutzen, um irgendetwas zu sagen, zu irgendjemandem. Doch nachts um drei sitzen nur noch die Penner im Park, die Drogendealer oder die verpissten Köter, die niemanden gehören. Früher mochte ich Hunde. Jetzt würde ich einem dieser Dinger die Flasche über den Schädel ziehen und mich wahrscheinlich danach ärgern, dass der ganze Wein verloren ist.
Das passierte schon mal. Vorletzte Woche. Da habe ich diesen verlausten Straßenlecker in den Himmel geschickt. Mit meinem Stiefel habe ich ihm den Kopf zertreten, zuerst die Hinterläufe, dann den Kopf. „Na heul doch“, schrie ich diesen Köter an. „Heul doch, du blöder Hund.“ Weiß gar nicht mehr, wie lange ich auf ihn eingetreten habe. Ich glaube etwa zehn Minuten, so lange bis ich anfing zu heulen. Kann mich nur noch dunkel an das Bild erinnern, von seinen gebrochenen Beinen und dem zermatschten Hundekopf. Schon mal probiert durch Tränen ein klares Bild zu sehen?, addiert mit soviel Alkohol, dass man überhaupt nicht mehr leben sollte? Mein Reichtum hat mich ruiniert, lebendig begraben in einer leblosen Welt, voller lebloser Menschen. Umsonst ist nur der Tod und schwarzlackierte Fingernägel.

Jahreswechsel 2008/2009

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