Mittwoch, 27. März 2013

"Düster New York", Schreiben nach Wörtern.

Gesicht, Note, düster, Jahre, Glied, Schimpansen, Bett, New York, Zeit, Wunsch, Pornographie, Krankenschwester, vergessen 
Zeit: 20 Minuten 

Erik:

 „Jahre“
Ich lebe seit fast zwanzig Jahren in New York. Zehn Jahre davon liege ich schon im Bett, in dieser Stadt, die ich nur noch höre.
Die Ärzte wussten nicht, welche Krankheit ich hatte. Solch ein Krankheitsbild passte mit nichts zusammen, was bis dahin eine Krankheit war.
Ich wurde blind, meinen Körper spürte ich nicht mehr. Ich brach einfach eines Tages zusammen, mitten auf der Straße irgendwo in Manhattan. Ohne Vorankündigung, ohne auch nur den geringsten Anschein eines Unwohlseins, oder einer Krankheit. Bis zu diesem Tag war ich ausgesprochen gesund. Ich war einer der Typen, die das Leben in vollen Zügen genossen. Mein immenses Glied versenkte ich mit Wonne in dutzende Frauen meiner Wahl. Was für eine Zeit, wenn ich jetzt zurückdenke. Oberflächlich, kleingeistig und doch dachte ich mein Leben mit beiden Händen festzuhalten. Ich erfüllte mir jeden Wunsch, alles stand mir offen, ich war reich. Sagen wir lieber, meine Eltern waren reich, steinreich. Ich bin der Sohn reicher Eltern, prominenter Schauspieler. Hollywood war damals mein zweites Zuhause.
Ich war der erste meiner Art. Mittlerweile liegen tausende in Krankenhäusern oder primitiven Notunterkünften mit dem gleichen Schicksal, wie es mich ereilte.
Zu Anfang gab man der Krankheit nur Buchstaben, eine Art Symbol. Wie Aids oder Krebs nach all den Jahren auch nur noch ein geschriebenes Symbol zu sein schien, dass für etwas schreckliches stand, die Vergänglichkeit, für das Ende oder zu hohe Arztkosten.
Man nannte unsere Krankheit ( Volume 1) sh 2 . Eine Abkürzung für „silent hope 2“. Wie originell, von Ärzten erfunden und definiert, aber sie hatten keine Ahnung, wie sie zu behandeln war, aber es machte ihnen das Leben leichter, erträglicher. Schließlich sprach man von Hoffnung, egal wie leise sie sei (und sei sie noch so leise). Ich übersetzte mir sie anders: sh, shit happend, was dann auch die populärere Formulierung dieser Krankheit wurde.
Die Krankenschwester tritt die Tür auf, unüberhörbar, lebendig. Ich mochte sie sehr.
Sie war immer laut, durchströmte den Raum mit Energie. Ihr Gesicht kannte ich nicht, hatte sie ja noch nie gesehen, aber bei mir bekam sie täglich ein anderes, je nach meiner Stimmung. Ich war der Herr über ihr Aussehen. Es sei gesagt, sie bekam jeden Tag die Note eins, nicht nur für ihr blendendes Aussehen, auch wegen den Dingen, die sie mit mir anstellte. Sie berührte mich. Machte Massagen, bließ mir warmen Atem hinters Ohr, und sagte mir, wie schade es sei, dass ich von alldem nie etwas spürte. Aber ich stellte mir immer alles sehr genau vor. Dabei half mir nicht selten die exquisite Pornographiesammlung meines älteren Bruders, die ich mir als Kind so oft, so heimlich angeschaut habe. Ich stellte mir vor wie meine Krankenschwester, meine Maggie, mich packte und liebte, und ich jede Berührung auf meinem Schwanz spürte. So wie damals, als ich gesund war und stark und alle liebte, weil jeder mich liebte.
Maggie verlässt das Krankenzimmer. Die Bilder verschwinden. Der Lärm der zuschlagenden Tür hallt wabernd vor meinem inneren Auge, alles wird wieder düster und ich fange wieder an zu vergessen. Manchmal in der Woche machen sie ihre Experimente, mit den Kranken. Mit mir.
Dem Schimpansen, dem Affen, der mit der Banane in der Fresse. Mit der Ratte, mit mir, dem Versuchskaninchen. Bluttests, Infusionen die ohnehin schon krank machen. Tabletten oder Spritzen. Und wie oft musste ich schon kotzen, habe meine Innereien nach außen gerollt ( wie ein zu scharfen Lahmacun von der Ecke) und nur einen Gedanken vor mir gesehen: Ich will leben, oder endlich sterben. Gebt mir alles, was ihr habt. Ich habe keine Angst mehr. 

Claudia:

„Nach all den gelebten Jahren schlagen meine müden Glieder einer Wünschelrute gleich,  
noch fordernd lebenshungrig aus; mein Gesicht,
welches düster geworden ist im Laufe der Zeit und ich spielen noch immer mit,
Pornographie, du Schimpanse im Krankenschwesterkostüm
Wir sind es, die sich zum Affen machen.
Als Fußnote notieren wir sachlich, tot und abgeklärt,
dass wir unsere Wünsche dem Leben anpassen mussten.
Ein grotesker Schattenumriss erklärt, peinlich stolz und zu laut lachend,
dass er nicht vergessen hat.
Ja ja, ich war noch niemals in New York.“

Nacht. Großstadt.
Heilsame Leere beim Laufen durch die menschenleere Stadt und ihren leeren Straßen mit zu großen Leuchtreklamen, Licht, Lichter überall, die sommerliche Hitze öffnet meine überflutete und bald durchbrennende Schädeldecke, legt ihr schimpansenähnliches und koksweißes Gehirn bloß; ihr Herz knistert wie pulsierende Drähte einer Glühbirne, während mein Gesicht eine erstaunlich klare Note beibehält. Meine Seele düster ob all der Jahre, verbrachte und vergessene Zeit im Wünschen. „Pornographie, du Hure im Schimpansenkostüm, hast kein Bett verdient, die Welt wird ausverkauft, wir tragen das Kostüm, wir sind es, die Zirkusaffen!“, sage ich mit Blick in Richtung Barmann, der sich inzwischen dezent zur Kaffeemaschine am anderen Ende des Tresens weggespielt hat. „Jetzt bin ich doch in New York“, ich schnaube und knalle laut mein Glas auf den verchromten, kalten Platz vor mir. „Und jetzt, was denn nun ihr Arschlöcher?“
„Habt ihr denn die geringste Ahnung über das Jetzt?“ Mein verhasster, aggressiver Bruder Wut ist  kranker, blinder Freund meiner Verzweiflung.
„Sogar das Jetzt würde verschwinden, wenn wir wirklich leben würden!“ Mein Glas zerschellt an der goldenen Stange unterhalb des Tresens, warum ist die da eigentlich, zum Tasche aufhängen oder festhalten, warum denke ich so ein Mist, während ich den ganzen Laden auseinander nehme.
Endlich glühen die Drähte in meinem Hirn durch, keine Ersatzsicherungen mehr, kein Reservetank, die Auflösung des Ichs...aber das Denken existiert weiterhin, treibt dich in die Enge....dann? Keine Ahnung...Fetzen...Bilder....Nichts...Zuhause...
Und als die Nacht um war, als ich aufstand und ohne Groll hinnahm, dass ich mich nicht retten konnte, ( andere nicht zu retten brauchte), erschienen mir Wunderkerzen zum ersten Mal nicht gänzlich sinnlos.

Trash Dezember 2008

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