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Wunsch, Pornographie, Krankenschwester, vergessen
Zeit: 20 Minuten
Erik:
„Jahre“
Ich
lebe seit fast zwanzig Jahren in New York. Zehn Jahre davon liege ich
schon im Bett, in dieser Stadt, die ich nur noch höre.
Die
Ärzte wussten nicht, welche Krankheit ich hatte. Solch ein
Krankheitsbild passte mit nichts zusammen, was bis dahin eine
Krankheit war.
Ich
wurde blind, meinen Körper spürte ich nicht mehr. Ich brach einfach
eines Tages zusammen, mitten auf der Straße irgendwo in Manhattan.
Ohne Vorankündigung, ohne auch nur den geringsten Anschein eines
Unwohlseins, oder einer Krankheit. Bis zu diesem Tag war ich
ausgesprochen gesund. Ich war einer der Typen, die das Leben in
vollen Zügen genossen. Mein immenses Glied versenkte ich mit Wonne
in dutzende Frauen meiner Wahl. Was für eine Zeit, wenn ich jetzt
zurückdenke. Oberflächlich, kleingeistig und doch dachte ich mein
Leben mit beiden Händen festzuhalten. Ich erfüllte mir jeden
Wunsch, alles stand mir offen, ich war reich. Sagen wir lieber, meine
Eltern waren reich, steinreich. Ich bin der Sohn reicher Eltern,
prominenter Schauspieler. Hollywood war damals mein zweites Zuhause.
Ich
war der erste meiner Art. Mittlerweile liegen tausende in
Krankenhäusern oder primitiven Notunterkünften mit dem gleichen
Schicksal, wie es mich ereilte.
Zu
Anfang gab man der Krankheit nur Buchstaben, eine Art Symbol. Wie
Aids oder Krebs nach all den Jahren auch nur noch ein geschriebenes
Symbol zu sein schien, dass für etwas schreckliches stand, die
Vergänglichkeit, für das Ende oder zu hohe Arztkosten.
Man
nannte unsere Krankheit ( Volume 1) sh 2 . Eine Abkürzung für
„silent hope 2“. Wie originell, von Ärzten erfunden und
definiert, aber sie hatten keine Ahnung, wie sie zu behandeln war,
aber es machte ihnen das Leben leichter, erträglicher. Schließlich
sprach man von Hoffnung, egal wie leise sie sei (und sei sie noch so
leise). Ich übersetzte mir sie anders: sh, shit happend, was dann
auch die populärere Formulierung dieser Krankheit wurde.
Die
Krankenschwester tritt die Tür auf, unüberhörbar, lebendig. Ich
mochte sie sehr.
Sie
war immer laut, durchströmte den Raum mit Energie. Ihr Gesicht
kannte ich nicht, hatte sie ja noch nie gesehen, aber bei mir bekam
sie täglich ein anderes, je nach meiner Stimmung. Ich war der Herr
über ihr Aussehen. Es sei gesagt, sie bekam jeden Tag die Note eins,
nicht nur für ihr blendendes Aussehen, auch wegen den Dingen, die
sie mit mir anstellte. Sie berührte mich. Machte Massagen, bließ
mir warmen Atem hinters Ohr, und sagte mir, wie schade es sei, dass
ich von alldem nie etwas spürte. Aber ich stellte mir immer alles
sehr genau vor. Dabei half mir nicht selten die exquisite
Pornographiesammlung meines älteren Bruders, die ich mir als Kind so
oft, so heimlich angeschaut habe. Ich stellte mir vor wie meine
Krankenschwester, meine Maggie, mich packte und liebte, und ich jede
Berührung auf meinem Schwanz spürte. So wie damals, als ich gesund
war und stark und alle liebte, weil jeder mich liebte.
Maggie
verlässt das Krankenzimmer. Die Bilder verschwinden. Der Lärm der
zuschlagenden Tür hallt wabernd vor meinem inneren Auge, alles wird
wieder düster und ich fange wieder an zu vergessen. Manchmal in der
Woche machen sie ihre Experimente, mit den Kranken. Mit mir.
Dem
Schimpansen, dem Affen, der mit der Banane in der Fresse. Mit der
Ratte, mit mir, dem Versuchskaninchen. Bluttests, Infusionen die
ohnehin schon krank machen. Tabletten oder Spritzen. Und wie oft
musste ich schon kotzen, habe meine Innereien nach außen gerollt ( wie ein zu scharfen Lahmacun von der Ecke) und nur einen
Gedanken vor mir gesehen: Ich will leben, oder endlich sterben. Gebt
mir alles, was ihr habt. Ich habe keine Angst mehr.
Claudia:
„Nach
all den gelebten Jahren schlagen meine müden Glieder einer Wünschelrute gleich,
noch fordernd lebenshungrig aus; mein Gesicht,
noch fordernd lebenshungrig aus; mein Gesicht,
welches
düster geworden ist im Laufe der Zeit und ich spielen noch immer mit,
Pornographie,
du Schimpanse im Krankenschwesterkostüm
Wir
sind es, die sich zum Affen machen.
Als
Fußnote notieren wir sachlich, tot und abgeklärt,
dass
wir unsere Wünsche dem Leben anpassen mussten.
Ein
grotesker Schattenumriss erklärt, peinlich stolz und zu laut
lachend,
dass
er nicht vergessen hat.
Ja
ja, ich war noch niemals in New York.“
Nacht. Großstadt.
Heilsame
Leere beim Laufen durch die menschenleere Stadt und ihren leeren
Straßen mit zu großen Leuchtreklamen, Licht, Lichter überall, die
sommerliche Hitze öffnet meine überflutete und bald durchbrennende
Schädeldecke, legt ihr schimpansenähnliches und koksweißes Gehirn
bloß; ihr Herz knistert wie pulsierende Drähte einer Glühbirne,
während mein Gesicht eine erstaunlich klare Note beibehält. Meine
Seele düster ob all der Jahre, verbrachte und vergessene Zeit im
Wünschen. „Pornographie, du Hure im Schimpansenkostüm, hast kein
Bett verdient, die Welt wird ausverkauft, wir tragen das Kostüm, wir sind es, die Zirkusaffen!“, sage ich mit Blick in
Richtung Barmann, der sich inzwischen dezent zur Kaffeemaschine am
anderen Ende des Tresens weggespielt hat. „Jetzt bin ich doch in
New York“, ich schnaube und knalle laut mein Glas auf den verchromten, kalten Platz vor mir.
„Und jetzt, was denn nun ihr Arschlöcher?“
„Habt
ihr denn die geringste Ahnung über das Jetzt?“ Mein verhasster,
aggressiver Bruder Wut ist kranker, blinder Freund meiner Verzweiflung.
„Sogar
das Jetzt würde verschwinden, wenn wir wirklich leben würden!“
Mein Glas zerschellt an der goldenen Stange unterhalb des Tresens,
warum ist die da eigentlich, zum Tasche aufhängen oder festhalten,
warum denke ich so ein Mist, während ich den ganzen Laden
auseinander nehme.
Endlich
glühen die Drähte in meinem Hirn durch, keine Ersatzsicherungen
mehr, kein Reservetank, die Auflösung des Ichs...aber das Denken existiert weiterhin, treibt dich in die Enge....dann? Keine
Ahnung...Fetzen...Bilder....Nichts...Zuhause...
Und
als die Nacht um war, als ich aufstand und ohne Groll hinnahm, dass
ich mich nicht retten konnte, ( andere nicht zu retten
brauchte), erschienen mir Wunderkerzen zum ersten Mal nicht gänzlich
sinnlos.
Trash Dezember 2008
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